Die Trommeln schlagen laut und hart… der lehmige Sandboden vibriert unter den regelmäßigen Rhythmen. Stampfende Füße der Männer und Frauen, die eng hintereinander im Kreis tanzen, begleiten die Lieder, die sie kraftvoll singen. Mit Einbruch der Nacht erklingt Musik, die jahrhundertelang von Generation zu Generation weitergegeben wird. Sie erzählt die Legenden des Stammes, die bis heute überliefert sind. In der Runde tanzend, die Körper mit glänzendem Öl eingerieben und kunstvoll mit Farben und Mustern bemalt, verlieren sich Individuen und verschmelzen zu einem Ring aus sich ineinander bewegenden Leibern. Immer schneller werden die Schläge auf die mit Tierhäuten bespannten Instrumente. Kehliger Gesang begleitet die Töne, die ihr Leben, ihre Geschichte und ihre Identität nicht nur über die Stimme zum Ausdruck bringt, sondern bis in den tiefsten Winkel der Seele spüren lässt.
Etwas abseits, im Schutz eines Holzschuppens kauert ein kleines Mädchen. Die dünnen Ärmchen fest um die angezogenen Knie geschlungen, blickt sie mit großen, beinahe tiefschwarzen Augen auf die sich vor ihr bewegende Menschenmenge. Alleine verfolgt sie nun das sich jährlich wiederholende Fest, das sie bis zu diesem Sommer über alles liebte. Seit einigen Monaten hatte sich alles verändert. Das unbeschwerte Leben, das sie in der Gemeinschaft ihrer großen Familie führte, nahm eine tragische Wendung als bei einem Ausflug von Touristen, den ihr Vater als Fährtensucher begleitete, der schreckliche Unfall passierte. Während die Gruppe ein Rudel Elefanten am Wasserloch beobachtete und einige der Fotografen zu nahe an ein Elefantenkalb herankamen, ging eine der Elefantenkühe zum Angriff über. Haileys Vater, der sich beschützend vor seine Gruppe stellte und sie mit langsamen Schritten zum Rückzug und damit in Sicherheit brachte, konnte sich selbst nicht mehr aus der Gefahrenzone retten. Riesige spitze Stoßzähne erfassten ihn und die Elefantenmutter schleuderte ihn über den holprigen Fahrweg. Den abseits geparkten Jeep erreichten die anderen Männer und Frauen im letzten Moment, das wütende Tier aber griff noch einmal an. Haileys Vater hatte keine Chance und starb noch an Ort und Stelle. Hailey zerbrach fast am Schmerz um den Verlust. Doch ein wunderbarer kleiner Glücksbringer wuchs ganz langsam in ihrer kleinen Seele heran und lernte sie, das Leben erneut zu lieben.
Sie öffnet im Feuerschein der Fackeln ihre kleine, zu einer Faust geballte Hand. Etwas zerdrückt aber wunderbar flauschig liegt darin eine kleine Vogelfeder. Auf den ersten Blick zart und zerbrechlich wie sie selbst, war sie doch stark und offen für alle Entwicklungen im Leben. Es war ein Geschenk von einer jungen Frau aus Deutschland, die vor einigen Wochen ihre Schule besuchte. Sie erzählte, sie käme aus einem Land, wo im Winter kalte weiße Sterne vom Himmel fallen, die in der Hand schmelzen, wenn man versucht, sie aufzuheben. Schon nach wenigen Tagen verband sie eine innige Zuneigung. Sie entdeckten zusammen neu,wie schön die Welt doch war. Wie das Gefühl von Glück und Zufriedenheit wieder wachsen kann, wenn man miteinander lacht, spielt und auch ein bisschen Unfug treibt. Als wären sie zwei Seelenverwandte, die sich nach vielen Umwegen wieder entdeckt haben, verbrachten sie viele Tage und Wochen, in denen sie unzertrennlich waren. Als der Tag des Abschieds kam, schenkte sie Hailey die winzige Vogelfeder. Es war ein Andenken und gleichzeitig ein Symbol, wie weit zarte Flügel wie diese, ein Lebewesen tragen können, wenn die Zeit dazu gekommen ist. Es war auch ein Versprechen, dass durch Zuversicht weite Schwingen wie diese in eine neue Welt führen und den Horizont ein Stück weit nach hinten schieben.
Hailey beginnt zu lächeln. Sie steht auf, verlässt ihren Platz an der Hütte und mischt sich mit großen Schritten in die tanzende Menge. Getragen vom Klang der vertrauten Musik und der Nähe der Menschen spürt sie, wie sich ihr Körper aufrichtet. Sie nimmt die Schwingung der Trommeln vollkommen in sich auf und setzt ihre Schritte , einen nach dem anderen, weiter voran. Ihre Seele wird von nun an in einem Körper wohnen, der schwarz und weiß kennt, Gut und Böse, Licht und Schatten. Und es fühlt sich gut und richtig an.
Sonja Lehmann